Von Volker Harren, Akademieleiter und DOSB-Nachwuchstrainer
Ausgangspunkt: Landesmeisterschaft Achern 2025
Die Landesmeisterschaften der Jugend und Junioren in Achern am 25. Oktober 2025 haben gezeigt, wie groß die altersbedingte Lücke im LTAD Vergleich inzwischen geworden ist.
Während engagierte Vereine und Trainer hervorragende Arbeit leisten, wird deutlich: Der deutsche Karate-Nachwuchs liegt im internationalen Vergleich systemisch zwei bis vier Jahre zurück.
1. Die Corona-Folgen: Verlorene Entwicklungsjahre
Die Altersklassen U10 und U12 sind entscheidend für die Ausbildung koordinativer und motorischer Grundlagen. Genau in dieser Phase trafen die Trainingsverbote während der Pandemie.
Was in anderen Ländern mit Sonderlösungen oder zentraler Förderung aufgefangen wurde, fiel in Deutschland weitgehend aus.
Das Ergebnis: Technische Defizite, fehlendes Bewegungsrepertoire und eine eingeschränkte Reaktionsfähigkeit, die auch Jahre später noch messbar sind.
2. Fehlende Verankerung in der Prüfungsordnung
Die Grundlage jeder leistungsorientierten Entwicklung ist ein breiter, qualitativ guter Nachwuchsbereich.
Doch die klassische Prüfungsordnung im Karate bildet die motorische und koordinative Ausbildung der jungen Altersklassen kaum ab.
Die Prüfungsordnung ist in vielen traditionell ausgerichteten Vereinen das zentrale Steuerungsinstrument für die Ausbildung – und damit auch ein Schlüssel zur langfristigen Leistungsentwicklung. Doch sie ist oft nicht auf die spezifischen Bedürfnisse der Altersklassen u8–u14 zugeschnitten, die für den Einstieg in den Nachwuchsleistungssport entscheidend sind.
Um das Potenzial der Prüfungsordnung als Brücke zur Leistung zu erschließen, braucht es drei Schritte:
- Eine stiloffene Prüfungsordnung mit Soundkarate-Teil als DKV-Grundlage:
Diese sollte – über die Stile gelegt – eine alternative Option für Vereine darstellen, die ihre Stilrichtung nicht wechseln möchten, aber eine kindgerechte, leistungsvorbereitende Ausbildung anstreben. - Verpflichtende Einbindung motorischer Grundausbildung in Prüfungsstufen:
Die vielseitige sportmotorische Basis (Körperkontrolle, Reaktion, Koordination etc.) muss verbindlich verankert werden, nicht nur als Zusatz, sondern als tragende Säule der Entwicklung. - Niederschwellige Soundkarate-Veranstaltungen als Austauschplattform für Vereine:
Um Vereine zur Kooperation zu bewegen, braucht es regelmäßige, leicht organisierbare Soundkarate-Events (z. B. Parcours-, Technik-, Teamwettkämpfe), die bewusst nicht auf den Einstieg in den Wettkampfsport zielen, sondern auf Austausch, Entwicklung und Motivation. So kann die Schwelle zur Zusammenarbeit gesenkt und ein systemischer, altersgerechter Aufbau unterstützt werden – unabhängig von Wettkampfambitionen.
Eine mögliche Lösung wäre, die stiloffene DKV-Prüfungsordnung mit integriertem Sound-Karate-Teil als übergeordnete Prüfungsordnung über die einzelnen Stilrichtungen zu etablieren.
So könnten Vereine ohne Stilrichtungswechsel frei entscheiden, ob sie eine leistungssportorientierte Ausbildung integrieren wollen – ein Schritt zu mehr Flexibilität und Durchlässigkeit im System.
3. Zersplitterte Nachwuchsförderung
Die Nachwuchsförderung im Karate ist Ländersache, ohne zentrale Steuerung.
Das führt zu ungleichen Strukturen:
- Manche Landesverbände haben funktionierende Stützpunkte, andere kaum.
- Fördermaßnahmen sind häufig punktuell – etwa in Form einzelner Kaderlehrgänge – und nicht auf eine langfristige Leistungsentwicklung ausgerichtet.
- Internatsanbindungen oder zentrale Leistungszentren existieren praktisch nicht.
Erfolge resultieren daher meist aus individuellem Engagement einzelner Heimtrainer – nicht aus systemischer Förderung.
4. Strukturelle Hürden – aber auch Chancen durch Eigeninitiative
Der Wettkampfsport im Karate ist teuer. Startgelder, Reisen, Ausrüstung und Trainingslager summieren sich. Fördermittel sind begrenzt und häufig zweckgebunden.
Doch: Man muss nicht auf Fördermittel angewiesen sein, wenn man die richtigen Strukturen schafft.
Die Lösung kann in der Generierung eigenständiger Angebote an dezentralen, von Vereinen getragenen Stützpunkten liegen.
Diese könnten durch die Abgabe von Kompetenzen durch Bund und Länder – insbesondere in den Bereichen Trainer-Aus- und Fortbildung – gestärkt werden.
Stützpunkte würden so nicht nur Ausbildungsorte für Athleten, sondern auch für Trainer:innen. Das schafft Wertschöpfung, Bindung und Qualität im Verein.
5. Was jetzt zu tun ist
Wenn Karate in Deutschland langfristig wettbewerbsfähig bleiben will, braucht es:
- Ein einheitliches nationales Nachwuchskonzept, das Breitensport, Sichtung und Leistungsförderung verbindlich miteinander verknüpft.
- Verbindliche Integration von Sound-Karate-Elementen und motorischer Basisausbildung in der Prüfungsordnung.
- Dezentrale Stützpunkte mit pädagogischer und sportwissenschaftlicher Kompetenz, getragen von aktiven Vereinen.
- Verlässliche Förderung und eigenständige Finanzierung durch lokal etablierte Angebote.
- Nachhaltige Trainerausbildung, die über Technikvermittlung hinausgeht und Entwicklungspsychologie, Motorik und Trainingssteuerung integriert.
Fazit
Die Knights und das Karate Centrum Rhein-Neckar versuchen seit Jahren, durch eigene Formate wie die Kara Games Liga mit gezielter Talentsichtung und dem Sento Ryoku Konzept die Lücken im System zu schließen.
Doch ein nachhaltiger Wandel kann nur dann gelingen, wenn der Verband die strukturellen Schwächen erkennt – und daraus verbindliche Rahmenbedingungen für alle schafft.
„Die jungen Athletinnen und Athleten brauchen nicht mehr Druck, sondern mehr System. Nur wer früh die Grundlagen richtig legt, kann später Spitzenleistung erbringen.“
— Volker Harren